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Tourismus in Odessa

Karl-Heinz Ulrich · 13. Juni 2024
Straße in Odessa
Straße in Odessa

Interview mit Karina Beigelzimer

Kürzlich hat in Odessa eine Tourismus-Konferenz stattgefunden. Inwieweit ist der Tourismus eine Art Anker der Normalität für die Menschen in Odessa?

Durch Tourismusaktivitäten werden zuallererst wirtschaftliche Impulse gesetzt. Es geht aber auch darum, ein Gefühl von Normalität zu erzeugen. Die Menschen sollen spüren, dass das öffentliche Leben auch im Krieg weitergeht. Sie können positive Erfahrungen machen, trotz der Herausforderungen, mit denen die Stadt tagtäglich konfrontiert ist.

Odessa war historisch schon immer mit dem Tourismus verbunden. Die Stadt hat eine reiche kulturelle und architektonische Geschichte. Darüber hinaus ist Odessa für seine schönen Strände und das milde Klima bekannt. Bis zum Krieg 2022 war es eine international anerkannte Touristenmetropole. Der Krieg hat diese Branche schwer getroffen. Aber im letzten Jahr, als sukzessive die Theater, Museen und schließlich im August sogar einige Strände geöffnet wurden, hat es viele Gäste in die Stadt gelockt. Angesichts der angespannten Situation in der Region sind neue Methoden und kreative Lösungen erforderlich. Darum ging es auf der internationalen Konferenz „U-Nation“, an der über 300 Personen teilgenommen haben.

Welche Schwerpunkte wurden auf der Konferenz gesetzt?

Die Tourismuskonferenz war wirklich ein herausragendes Ereignis für die gesamte Region. Sie stand unter dem Motto der „Einheit“. Die Podiumsdiskussionen waren sehr informativ. Sie boten den Vertretern der Odessaer Universitäten, Reisebüros, Agenturen, Kultur- und Theaterorganisationen, sowie Hotels und Restaurants Gelegenheit zum Networking. Es wurden wertvolle Ratschläge zu Themen wie der Umgang mit den Herausforderungen des Krieges, der Neupositionierung von Unternehmen der Bindung von Mitarbeitern, der Umsetzung innovativer Ideen und der Förderung des ukrainischen Kulturangebots ausgetauscht.

An wen richten sich touristische Angebote zurzeit?

Die touristischen Angebote richten sich derzeit hauptsächlich an Binnentouristen und die Bewohner der Region Odessa. Es geht weniger um ausländische Gäste, die gegenwärtig eher selten nach Odessa kommen. Der Krieg hat zu einer verstärkten Ausrichtung auf ukrainische Gäste geführt, da internationale Agenturen gegenwärtig keine Reisen in die Odessa-Region anbieten.

Dennoch ist die Vielfalt der angebotenen Aktivitäten beeindruckend: von Gastrotouren, über Verkostungen in den Katakomben, bis hin zu einem Bierfestival und einem Frühlingsfest im Botanischen Garten. Auch semi-kulturelle Veranstaltungen sind geplant, z.B. kann man an einem Brunch mit Schauspielern teilnehmen. Aber auch Stadtführungen für Flüchtlinge und Quests für Kinder werden angeboten.

In letzter Zeit wurden in Odessa viele kleine gemütliche Cafés eröffnet, die oft thematische Abende oder Vorlesungen veranstalten. Diese Ereignisse zeigen, dass die Menschen bemüht sind, sich damit einerseits vom Krieg abzulenken, andererseits auch ein Stück Normalität für ihr Leben wieder zu erlangen. Ein Beispiel hierfür ist das Odessaer Filmstudio. Dessen Leiter hat auf der Konferenz den Plan vorgestellt, bald einen historischen Film über die Stadt drehen zu wollen. Solche Nachrichten sind sehr wichtig für die Moral sowohl der Bewohner als auch für die Gäste der Stadt, die sich inmitten dieser schwierigen Zeiten nach Ablenkung und auch nach Normalität sehnen.

In den vergangenen gut zwei Jahren ist Odessa vom Krieg gezeichnet. Wie hat sich die touristische Infrastruktur der Stadt seither verändert?

Im historischen Zentrum der Stadt selbst wurden fast keine Hotels zerstört. Einige Museen, die im Sommer beschädigt wurden, können inzwischen wieder besucht werden. Die Potemkinsche Treppe ist der Touristenmagnet am Hafen schlechthin. Sie führt über 192 Stufen, vom Touristenhafen kommend, hinauf in die historische Altstadt. Sergei Eisenstein hat sie mit seinem Film „Panzerkreuzer Potemkin“ weltberühmt gemacht. Sie war lange Zeit gesperrt und ist seit Kurzem wieder begehbar. Viele Restaurants haben wieder geöffnet, nachdem sie ein Sicherheitskonzept erarbeitet haben. Man kann an der Promenade spazieren gehen, dort gibt es Cafés. Man kann wieder auf der Straße parallel zur Küste entlang mit dem Rad fahren oder mit Inline Skates.

Inwieweit stellen sich Hotels und andere touristische Angebote auf die Sicherheitslage ein?

Alle touristischen Angebote müssen ein Sicherheitskonzept nachweisen. Das Wichtigste ist, dass sie selbst Schutzbunker bereitstellen oder auf diese hinweisen. Das gibt den Touristen ein gewisses Gefühl von Sicherheit. Ehrlich gesagt, würde ich mich als Tourist in einem Hotel mit einem eigenen Schutzkeller sicherer fühlen, als in der Wohnung meines Hauses, in dem es keinen Schutzraum gibt. Im Gegensatz zu Hotels liegt der nächste Luftschutzbunker bei Privathäusern oft 15 Minuten zu Fuß entfernt.

Touristen werden über die Sicherheitsvorkehrungen informiert. So wird im Falle eines Fliegeralarms die Vorstellung im Theater unterbrochen und alle Besucher gehen nach unten in den Schutzraum. Bei Stadtführungen weiß jede/r Reiseleiter/in, wo sich der nächste Schutzraum befindet. An den Stränden gibt es speziell gekennzeichnete Hinweisschilder, die den Weg zum Schutzraum zeigen.

Wie wirkt sich die Entwicklung im Tourismus-Sektor auf die gesamte wirtschaftliche Lage in Odessa aus (zum Beispiel Arbeitsplätze)?

Die neuerliche Entwicklung im Tourismussektor hat, trotz der Herausforderungen durch den Krieg, natürlich positive Auswirkung auf die gesamte wirtschaftliche und gesellschaftliche Lage in Odessa. Obwohl die Touristenbranche jetzt nicht so viele Einnahmen generiert wie zuvor, schafft sie dennoch neue Arbeitsplätze und hilft so etlichen Unternehmen über die Runden zu kommen. Diejenigen, die in Hotels, Restaurants, Tourenunternehmen und anderen touristischen Einrichtungen arbeiten, haben in dieser Branche Beschäftigungsmöglichkeiten gefunden. Das trägt zur Stabilisierung des lokalen Arbeitsmarktes bei. Es hilft aber auch den Beschäftigten wieder zu einer sinnvollen Beschäftigung und trägt zu ihrer persönlichen Stabilisierung bei.