Familienreise nach Moldawien

Thorsten Hiller
Die Beweggründe für diese Reise sind darauf zurückzuführen, dass ich – Helmut Hiller – 1935 in Albota geboren bin und mich emotional mit diesem Ort verbunden fühle. Hinzu kommt, dass ich 2001 das Projekt „Kirche Albota“ zusammen mit Alwin Stuber initiiert habe und dafür nach wie vor eine Mitverantwortung spüre.
Nach insgesamt fünf Gruppenreisen zusammen mit meiner Frau und teilweise auch mit unseren beiden Söhnen reifte in mir der Wunsch nach einem Besuch ohne Gruppenzwang und Termindruck. Ich wollte mich vor Ort einmal nur auf die Dinge konzentrieren, die mich interessieren. Dazu bot sich eine Individual-Reise an, die Dr. h.c. Edwin Kelm als Koordinator der BessarabienReisen ausgeschrieben hatte.
Diesen Wunsch realisierten meine Söhne Thorsten und Heiko zu meinem 75. Geburtstag, indem sie mir und meiner Frau Tilla diese Individual-Reise für 2011 schenkten. Darüber hinaus überraschten sie uns mit ihrer Bereitschaft, uns dabei zu begleiten. Damit war die Freude groß und die Reise der ganzen vierköpfigen Familie Hiller perfekt.
Nach den erforderlichen Vorgesprächen mit Herrn Kelm waren wir Anfang August startklar. Als Reiseleiter, Dolmetscher, Fahrer und Freund konnten wir Valery Skripnik verpflichten, für uns einer der besten Bessarabien-Kenner. Im folgenden Reisebericht möchte ich unsere Erlebnisse und Eindrücke wiedergeben.
1. Tag – Freitag, 5. August 2011 (Temperatur 22°C)
Wir flogen um 10:15 von Stuttgart ab und erreichten, nach Zwischenlandung in Wien, um 15:30 (eine Stunde Zeitverschiebung) Chisinau. Dort nahm uns Valery in Empfang. Wir starteten sofort in Richtung Cahul und trafen dort gegen 18:30 im Hotel „Azalia“ ein. Bereits um 19:15 saßen wir bei einem tolles Abendessen: Salatteller mit Schafskäse, Schweinegeschnetzeltes mit Mamaliga und gutem Wein.
2. Tag – Samstag, 6. August 2011 (Temperatur 28°C)

Helmut Hiller und Valery Skripnik bei der Besprechung über die Sanierung des Kirchendachs mit Pope Andrej und Brigadeleiter Grischa (v. r.).
Thorsten Hiller
Ziel dieses Tages war – wie könnte es auch anders sein – mein Geburtsort Albota. Vorher deckten wir uns auf dem Markt, der unmittelbar an das Hotel angrenzt, mit Tagesproviant ein: Dort wird alles an Obst, Gemüse, Früchten und Essbarem angeboten, was Moldawien zu dieser Jahreszeit herzugeben vermag, Der Markt findet an sieben Tagen in der Woche statt. Wir hatten vereinbart, erst am Abend in Cahul wieder warm zu essen und tagsüber an schönen Stellen unserer Wahl lediglich zu picknicken. Die Strecke von Cahul nach Albota beträgt etwa 25 Kilometer. Die Straße wird begrenzt von unzähligen Walnussbäumen. Sie führt vorbei an Mais- und Sonnenblumenfeldern und Weingärten. Die Weingärten sind größtenteils kultiviert, manche sind aber auch sehr vernachlässigt. Die Fahrt bei strahlendem Sonnenschein war ein Genuss und führte uns den schönen landschaftlichen Charakter Süd-Moldawiens einmal mehr vor Augen.
Für mich hatte die Fahrt noch eine ganz besondere Bedeutung. Mein Großonkel Samuel Hiller, der wohl für alle ehemaligen Bewohner der Gemeinde Albota ein Begriff sein dürfte, war hauptamtlich Postkurier. In dieser Eigenschaft gehörte es zu seinen Aufgaben drei Mal wöchentlich – montags, mittwochs und freitags – die Brief-, Paket- und teilweise auch Wertpost von Albota zum Hauptpostamt nach Cahul zu befördern. Von dort nahm er auf dem Rückweg alle für Albota und
Umgebung bestimmten Postsachen mit. Als Transportfahrzeug verwendete er je nach Jahreszeit
Wagen oder Schlitten. Zugtiere waren zuerst jahrelang ein Steinesel und danach Pferde. Zwischen Samuel Hiller und seinem Steinesel entwickelte sich ein ganz besonderes Verhältnis, das als Stoff für viele, auch schriftlich verfasste Anekdoten diente. Ich erinnerte mich auch daran, dass mein Großonkel Samuel mir oft erzählte, wie strapaziös die Tagesfahrt nach Cahul und zurück, speziell im Winter für ihn war, weil die Straße durch sieben Täler und Steigungen führte. Wir haben das auf der rund 25 Kilometer langen Fahrstrecke gezählt und konnten gedanklich die damit verbundenen witterungsbedingten Schwierigkeiten nachvollziehen.
Bei der Ankunft in Albota wird mir jedes Mal von Neuem warm ums Herz. Obwohl ich als ExManager in vielen Jahren lernen musste, mich zu beherrschen, kann und möchte ich dieses Gefühl nicht unterdrücken. Der erste Weg führte uns natürlich zur Kirche. Dorthin hatte Valery auch den Popen Andrej Michu und den Leiter der Dachdecker-Brigade aus Cahul, Grigoriy (Grischa) Mihajluk, bestellt.

Helmut, Heiko, Tilla und Thorsten Hiller auf der zentralen Kreuzung in Albota vor der Kirche (v. l.).
Thorsten Hiller
Zur Information: Nach dem bei den Renovierungsarbeiten im Jahr 2003 zwangsläufig alte mit neuer Bausubstanz verbunden werden musste, kam es zu Setzungen im Bereich „Anbindung Turm/Kirchenschiff“. Dies und 2003 teilweise unzureichend ausgeführte Dachdeckerarbeiten führten zunehmend zu Wassereintritten mit entsprechenden Folgeschäden in den Kirchen-Innenräumen. Da wiederholte Versuche die Mängel zu beseitigen nicht den erhofften Erfolg hatten, entschied unser Vorstand (Fachausschuss Bessarabienhilfe), das Problem durch eine Sanierung des Kirchendachs endgültig zu lösen.
Mit diesen Arbeiten wurde die Dachdeckerbrigade aus Cahul beauftragt. Beginn der Maßnahmen war Ende Juli 2011. Eine Hälfte des Daches war bereits saniert. Mit der anderen Hälfte war begonnen worden. Valery ließ sich von dem Brigadeleiter alle durchgeführten Maßnahmen genauestens erklären und begutachtete mit uns zusammen alles sehr gründlich. Er prüfte auch die Qualität des bereits verwendeten und noch zu verbauenden Materials und bat Thorsten alle Typenschilder und Qualitätsbezeichnungen des noch im Lager befindlichen Materials, quasi als Beweismittel, zu fotografieren. Valery verwies den Brigadeleiter „Grischa“ nochmals mit Nachdruck auf die Einhaltung des schriftlich abgeschlossenen Reparaturvertrags mit zehnjähriger Garantiezusage.
Wir beendeten das Treffen, die Fachgespräche und die Besichtigung mit dem Gefühl, dass durch diesen finanziellen Kraftakt und die ergriffenen Maßnahmen unserer Organisation nunmehr alles getan wurde, um die Schäden an der Kirche Albota endgültig zu beseitigen. Damit bin nicht nur ich zufrieden, der mehrmals schriftlich auf die Mängel hingewiesen hatte, sondern auch Alwin Stuber als Mitinitiator und die vielen Landsleute, die für dieses Projekt viel Geld gespendet haben.
Jetzt bleibt nur zu hoffen, dass möglichst viele Touristen Albota besuchen und das schöne bessarabiendeutsche Kirchenbaudenkmal ehren und uneingeschränkt bewundern.
Im Gespräch und beim Rundgang in der Kirche haben wir den Popen Andrej Micha sowohl gelobt, als auch sanft kritisiert. Gelobt haben wir, weil die Innenräume sehr sauber waren und die Ausstattung trotz der bescheidenen Mittel, die ihm zur Verfügung stehen, sehr ansprechend ist.
Sanft kritisiert haben wir, weil der Zustand der Außenanlagen sehr zu wünschen übrig ließ.
Außerdem konnte er uns auch nicht plausibel erklären, warum im etwa zwei bis drei Kilometer entfernten Unter-Albota (Albota de Sus) die russisch-orthodoxe Kirchengemeinde auf rund 100 Mitglieder angewachsen ist und die Zahl in Ober-Albota (Albota de Jos) lediglich 15 Mitglieder beträgt. Die Kirche in Ober-Albota wurde am 7. September 2003 eingeweiht und an das russischorthodoxe Bistum übergeben. Warum trotzdem kurze Zeit später eine große neue Kirche im naheliegenden Unter-Albota gebaut wurde, konnte oder wollte uns niemand erklären. Tatsache ist, dass die Kirche in Unter-Albota offenbar von den Einwohnern angenommen wurde und die Kirche in Ober-Albota, trotz zeitlichem Vorsprung, nicht in ausreichendem Maße. Ob die Gründe dafür auch an den Popen liegen – der Pope Dimitri in Unter-Albota war vorher zuständig für die Kirche in Ober-Albota und damit Vorgänger des Popen Andrej – konnten wir nicht genau ermitteln. Den Eindruck, dass die von uns renovierte Kirche bei den Einwohnern noch nicht den von uns erhofften Stellenwert einnimmt, habe ich schon bei meinem Besuch im September 2006 gewonnen. Hier scheinen bisher von den maßgebenden Stellen und Personen zu wenig motivierende Impulse an die Einwohner ausgegangen zu sein.
Den Rest der Zeit dieses Tages haben wir dafür verwendet, die Hofstelle zu besuchen, auf der ich geboren wurde, die Hofstellen meiner Großeltern väterlicher- und mütterlicherseits zu besichtigen, die Hofstellen weiterer Verwandten zu finden und Albota zu durchstreifen.
Das war wie immer eine spannende Sache, mit vielen interessanten und guten Gesprächen mit Bewohnern – Dank der guten Dolmetscherdienste von Valery!
Zurück in Cahul haben wir dann in dem schönen, modernen Restaurant „Marco Polo“ sehr gut zu Abend gegessen: Zander-Filet, Schweine-Medaillon, Gemüse, Bratkartoffeln – alles auf bessarabische Art gewürzt. Dazu Mineralwasser, Bier, Wein (nicht zu wenig). Kosten insgesamt 550,-- Lei für fünf Personen, also rund 7,00 Euro pro Person (Umrechnungskurs: 1 Euro = 16,4 Lei)!!
3. Tag – Sonntag, 7. August 2011 (Temperatur 29°C)
Nach ausgiebigem Frühstück im „Azalia“ machten wir den obligatorischen Rundgang durch den Markt. Nach Rücksprache und mit Einverständnis der Hotel-Küchenchefin kauften Valery und ich zwei frisch geschlachtete Enten von einer Bauersfrau, die uns das Küchenteam für das Abendessen zubereiten sollte. (Grund: Auf den Speisenkarten gab es vieles, nur keine Entengerichte! Obwohl im ganzen Land tausende von Enten frei herumlaufen.) Darüber hinaus versorgten wir uns auf dem Markt mit Tagesproviant fürs Picknick unterwegs.
Danach fuhren wir wieder in Richtung Albota, um unsere Spurensuche vom Vortag fortzusetzen und uns auch mit dem früheren Bürgermeister Gennadi Kara zu treffen, um einige allgemeinen Fragen mit ihm zu besprechen.
Unser Picknick machten wir kurz vor Albota in der Gartenanlage des „Albasadorf“, das offensichtlich dem Zerfall preisgegeben ist, wenn kein Wunder geschieht. Wie wir erfuhren gehört „Albasadorf“ nicht mehr zur Hotelkette „Codru“ sondern ging in den Besitz der Gemeinde Albota über. Jetzt träumt man dort von einem Ausbau als Landhotel mit Gaststätte und sucht dafür Investoren. Das Projekt aus eigener Kraft zu stemmen wird wohl ein Traum bleiben.
Vor dem Termin mit Gennadi Kara machten wir einen Abstecher nach Unter-Albota und staunten nicht schlecht über den pompösen Kirchenneubau, der sicher eine Menge Geld gekostet hat. Nun stehen zwei große russisch-orthodoxe Kirchen im Abstand von nur zirka zwei bis drei Kilometern Entfernung – für uns, angesichts der wirtschaftlichen Gesamtsituation in Moldawien, nicht nachvollziehbar.
Von Gennadi haben wir u.a. einige interessante Auskünfte bekommen, die wir gerne weitergeben möchten.
Cahul hat ca. 65.000 Einwohner. Es gilt als Zentrum Süd-Moldawiens und wird dementsprechend staatlich gefördert.
Die humanistische Universität in Cahul wird von ca. 3.000 Studenten/innen besucht. Gennadi hat dort u.a. Deutsch gelehrt. Weil es angeblich diese Vorlesungen nicht mehr gibt, hat er seine Anstellung als Dozent verloren. Die Arbeitslosenquote in Moldawien liegt bei über 50 Prozent.
Die Textilfabrik „Tricon“ in Cahul (direkt neben dem Hotel „Azalia“) produziert für verschiedene Länder wie Italien, USA, Deutschland. So arbeitet Tricon u.a. für die deutschen Firmen Basler und Gerry Weber.
In Cahul gibt es nach westlichem Standard alles zu kaufen – allerdings können sich das nur wenige leisten.
Viele Moldawier sind als Gastarbeiter in Russland, Italien, der Türkei und Frankreich beschäftigt. Ein Großteil der Verdienste fließt nach Moldawien zurück und wirkt sich erheblich auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP) aus. Wir konnten den genauen Anteil nicht ermitteln, er soll aber um die 50 Prozent des BIP betragen!
Zur Gemeinde Albota de Jos (Ober-Albota) gehören die Dörfer Sofiewka, Cesur/Rosita – (Albota de Sus/Unter-Albota ist eine selbstständige Gemeinde). Die Einwohnerzahl beläuft sich auf insgesamt 2.525 Menschen.
die Anzahl der Schüler/innen in Albota ist in rund 10 Jahren von 320 auf 166 gesunken die Zahl der Schüler/innen in Sofiewka beträgt ca. 120
Bei diesen Zahlen dürften Landflucht und Abwanderung durch Gastarbeit oder in Städte – bedingt durch die völlig unzureichende Infrastruktur auf dem flachen Land – bereits enthalten sein.
In den Städten dagegen pulsiert ein reges Leben mit viel Verkehr, modernen Autos, ansprechenden Geschäften und gut gekleideten Menschen. Das verdeutlicht, dass die Kluft zwischen Land und Stadt gravierend ist und lässt eine Besserung in den kleinen Dörfern auf dem Lande umso hoffnungsloser erscheinen, so auch in Albota, Sofiewka u.s.w..
Vergleich: BIP in Moldawien: 2.286 Euro pro Einwohner im Jahr / BIP in Deutschland: 24.438 Euro pro Einwohner im Jahr
- ein Arbeiter/in verdient etwa 70 bis 100 Euro monatlich
- ein Lehrer/in etwa 150 bis 200 Euro im Monat
- die Rente liegt bei etwa 50 bis 70 Euro im Monat
- zum Lebensunterhalt benötigt man rund 100 Euro monatlich. Das bedeutet speziell bei Rentenempfängern, dass eine finanzielle Bedarfslücke von 30 bis 50 Euro im Monat durch Selbstversorgung geschlossen werden muss.
1 l Diesel oder Benzin kostet ca. 1 Euro
1 kg Schweinefleisch ca. 4 bis 5 Euro
1 kg Butter ca. 3 bis 4 Euro
1 kg Wurst ca. 7 bis 10 Euro, je nach Qualität
1 kg Brot ca. 0,25 Euro
1 l Milch ca. 0,30 Euro
1 kg Käse ca. 4 bis 8 Euro
1 kg Schafskäse ca. 3 Euro
1 kg Zucker ca. 0,70 bis 1 Euro
1 l Sonnenblumenöl ca. 1 bis 1,50 Euro
Die landschaftlich schöne Rückfahrt von Albota nach Cahul und das vom Azalia-Küchenteam vorzüglich zubereitete Enten-Essen mit Mamaliga und allem drum und dran, stellten uns einmal mehr die angenehmen Seiten meines Geburtslandes unter Beweis.
4. Tag – Montag, 8. August 2011 (Temperatur 30°C)
Nach dem Frühstück machten wir vor der Fahrt nach Albota einen Abstecher an die rumänische Grenze. Von dort aus rief Valery Dr. h.c. Edwin Kelm an, der an diesem Tag Geburtstag hatte. Wir gratulierten alle sehr herzlich und sangen ihm telefonisch das Ständchen „Happy Birthday to you….“. Anschließend besuchten wir zunächst Alexandrowka und dann Sofiewka. In Sofiewka besichtigten wir den Kindergarten, in dem Mütter und Omas gerade Renovierungsarbeiten („Remonte“!) ausführten. Stolz zeigte man uns die neue Eingangstüre, die durch eine Spende der Familie Eberhardt aus Kanada (Verwandte von Erika und Ingo Isert) angeschafft werden konnte. Es war beeindruckend, mit welcher Freude und mit welchem Elan die Frauen bei der Sache waren.
Außerdem konnten wir den Neubau einer Bibel-Schule besichtigen. Die Arbeiten wurden von einheimischen und deutschen Baptisten gemeinsam ausgeführt. Auch hier fiel uns die Freude und Begeisterung auf, mit der alle Beteiligten bei der Arbeit waren.
Danach hatten wir uns in Albota mit dem im Frühjahr 2011 neu gewählten Bürgermeister Viktor Pikulski verabredet, um uns kennen zu lernen.
Hauptthema war die Kirche in Albota, die Dachsanierungsmaßnahmen und die unserer Meinung nach unzureichende Akzeptanz dieses schönen Bauwerks durch die Einwohnerschaft. Ohne dem Bürgermeister zu nahe treten zu wollen, fragten wir ihn, was seiner Meinung nach die Gründe dafür seien. Unter Hinweis darauf, dass er erst einige Monate im Amt sei, konnte oder wollte er uns hierauf keine plausible Antwort geben. Er versprach uns aber, sich ab sofort stärker mit diesem Thema zu befassen und den (schwachen) Popen Andrej intensiver zu unterstützen. Wir erklärten, dass von dieser Entwicklung die Spenden- und Besucherbereitschaft bessarabiendeutscher Touristen abhängt, für die diese Kirche Baudenkmal und Anziehungspunkt darstellt.
Da wir eine Menge Geschenke für die Schule mitgebracht hatten und im Schulgebäude wegen der Ferienzeit Renovierungsarbeiten („Remonte!“) ausgeführt wurden, baten wir die Direktorin Ludmila Bogojewa, begleitet von der Lehrerin Nadeschda Komisarenko zur Geschenkübergabe ins Rathaus zu kommen. Die Direktorin freute sich sehr und erklärte, dass die Geschenke (Mützen, T-Shirts, Kulis u.ä.) gerade recht kämen um als Preise bei einer nach den Ferien geplanten Schulveranstaltung Verwendung zu finden.
Nach einem Picknick im Park vor der Kirche und einem letzten Rundgang durch Albota fuhren wir nach Cahul zurück. Das letzte Abendessen in Cahul nahmen wir wieder im Restaurant „Marco Polo“ ein.
5. Tag – Dienstag, 9. August 2011 (Temperatur 30°C)
Da wir uns entschlossen hatten, die restlichen Tage vor dem Rückflug in Chisinau zu verbringen, starteten wir nach dem Frühstück gegen 10:00 Uhr nach Norden. In Leova machten wir einen kleinen Spaziergang am Pruth (rumänische Grenze!) und eine Rundfahrt durch die Stadt. Auch hier nahmen wir ein reges Leben wahr, das uns einmal mehr die Diskrepanz zwischen Land und Stadt vor Augen führte.
Auf der Weiterfahrt entschlossen wir uns spontan in Fürstenfeld, dem Geburtsort der am 30. Mai 2011 verstorbenen Olga Kelm, eine Gedenkminute einzulegen. Dazu bot sich der Fürstenfelder Gedenkstein an. Nach diesem besinnlichen Stopp ging es weiter nach Hinçesti. Dort besichtigten wir die imposante Schloss-Ruine Hantschescht des Manuk Bey und das Museum Kotovsk.
Nach einer Stadt-Rundfahrt fuhren wir weiter nach Chisinau, wo wir am Nachmittag eintrafen. Nach dem Einchecken im Hotel „Cosmos“ machten wir einen Spaziergang und aßen anschließend zu Abend in einem nahe des „Cosmos“ liegenden Restaurant „La Placinte“. Hier gab es u.a. auch eine spezielle Speisenkarte mit moldawisch/bessarabischen Gerichten, sodass wir voll auf unsere Kosten kamen.
Nach Rückkehr ins „Cosmos“ wurden wir im Foyer von deutschen Landsleuten angesprochen. Wie sich herausstellte, handelte es sich um eine Gruppe deutscher und moldawischer Studenten, die im Auftrag des „Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V.“ tätig waren. Geleitet wurde die deutsche Gruppe von Silvio Fränkel aus Potsdam und Dr. Markus Naser (Lehrstuhl für Fränkische Landesgeschichte an der Universität Würzburg). Die moldawische Studenten-Gruppe wurde von einer Dozentin der Uni Chisinau angeführt. Sie hatten den Auftrag, ein Gedenkkreuz für die deutschen, rumänischen und ukrainischen Soldaten zu errichten, die im August 1944 in einer verlustreichen Kesselschlacht am Pruth gefallen sind. Das Gedenkkreuz steht auf einer Anhöhe in Poganesti, am Pruth, zirka 40 Kilometer nördlich von Leova.
Wenn uns das früher bekannt gewesen wäre, hätten wir die Gedenkstätte auf unserer Fahrt von Cahul nach Chisinau natürlich gerne besucht. Valery hat sich das als zusätzlichen Programmpunkt vorgemerkt und wird die Stätte künftig bessarabiendeutschen Besuchern empfehlen.
6. Tag – Mittwoch, 10. August 2011 (Temperatur 20°C)
Nach dem Frühstück starten wir durch das Verkehrschaos von Chisinau nach Orhei, um das dort befindliche Höhlenkloster zu besuchen (zirka 50 km nördlich von Chisinau).
Auf der Fahrt konnten wir die bewaldete Hügellandschaft Nord-Moldawiens bewundern, die sich charakterlich sehr von der im Süden unterschied. In Orhei wanderten wir zum Höhlenkloster und genossen dabei eine fantastische Aussicht. Das Höhlenkloster selbst ist ein Erlebnis für sich. Man kann das entbehrungsreiche Leben der Mönche, die in Fels gehauenen Zellen hausten, unter diesen Bedingungen nur erahnen. Das Panorama, das sich uns auf dem Bergkamm darbot, war einmalig und unbeschreiblich schön. Daher können wir einen Besuch des Höhlenklosters nur wärmstens weiterempfehlen.
Nach dem Abstieg trafen wir im Dorf Orhei zufällig die gemischte Studentengruppe aus dem
„Cosmos“ wieder, die zum Abschluss ihrer Mission ebenfalls das Höhlenkloster besuchte. Der
Gruppenleiter Silvio Fränkel bat mich spontan den Studenten etwas über die bessarabiendeutsche
Volksgruppe und deren Verbindung zu Moldawien und zur Ukraine zu erzählen. Ich kam diesem Wunsch gerne nach, wobei mich Valery in einigen Punkten mit seinem fundierten Wissen unterstützte. Die Dozentin übersetzte meine Ausführungen für die moldawischen Studenten/innen, die die geschichtlichen Zusammenhänge offenbar nicht kannten und deshalb mit großem Interesse aufnahmen.
Für uns war die Begegnung mit dieser Gruppe, die aus etwa 20 Personen bestand, ein schönes
Erlebnis, an das wir uns gerne zurück erinnern werden. Ich habe Silvio Fränkel und Dr. Markus Naser versprochen, weitere Unterlagen über die bessarabiendeutsche Geschichte zuzusenden und Kontakt zu halten.
Auf dem Rückweg wollten wir die weltbekannte Weinkellerei „Cricova“ besuchen. Leider waren an diesem Tag alle Führungen bereits ausgebucht. Mit Mühe und Not konnte Valery noch eine kleine Führung am nächsten Tag um 10:00 Uhr für uns ergattern.
Zurück in Chisinau machten wir noch einen Stadtbummel. Das Abendessen nahmen wir danach in dem modernen, aber lauten Restaurant „Mexico Kvartal“, bzw. „Veranda“ ein, das sich hinter dem „Cosmos“ befindet. Das Essen war sehr gut, aber auch das Preisniveau!
7. Tag – Donnerstag, 11. August 2011 (Temperatur 22°C)
Nach dem Frühstück starteten wir zum zehn Kilometer entfernten Cricova. Kurz nach 10:00 Uhr fahren wir mit unserem Kleinbus in der unterirdischen Kellerei ein. Die Führung erfolgte in englischer Sprache. Das unterirdische Tunnelnetz beträgt sage und schreibe 210 km!! In diesem Labyrinth befinden sich Lagerstätten für Weinfässer sowie Produktions- und Abfüllanlagen für die verschiedenen Wein- und Sektsorten. Wir hatten die Gelegenheit eine vollautomatische SektAbfüllanlage in Betrieb zu beobachten – sehr interessant! Überwältigt waren wir aber von den pompösen, prunkvollen Räumlichkeiten, die sich untertage befinden. Die Ausstattungen der verschiedenen Prunksäle, eines Kaminsaals usw. sind nur vom Feinsten.
Wie uns die Führerin erklärte, werden diese Räumlichkeiten überwiegend für Staatsempfänge und Repräsentationszwecke genutzt. Wie eine „Walhalla“ der Weine wirkten auf uns die mit hunderten von Nischen versehenen Gänge. In den Nischen, die von vielen internationalen Persönlichkeiten angemietet sind, werden edle Jahrgangs-Weine gelagert und auf Wunsch immer wieder durch neue exklusive Jahrgänge ergänzt. Wir haben keine Nische gemietet, sondern uns 2 gute Flaschen Wein gekauft, die wir zu einem besonderen Anlass genießen werden. Alles in allem ist Cricova beeindruckend und eine Besichtigung wert.
Auf der Rückfahrt nach Chisinau besichtigten wir den deutschen Soldatenfriedhof, der vom „Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V.“ 2002 mit Unterstützung von moldawischer Seite angelegt wurde. Auf diesem Friedhof ruhen ca. 5600 deutsche Soldaten, die im zweiten Weltkrieg gefallen sind. Beim Studium der Namen und Geburtsdaten der Gefallenen auf den Gedenktafeln, fiel uns auf, dass die meisten erst zwischen 19 und 24 Jahre alt waren. Für uns alle waren das bewegende Eindrücke, speziell für Thorsten und Heiko, die beide ihren Wehrdienst bei der Bundeswehr abgeleistet haben, aber Gott sei Dank von Kriegseinsätzen verschont geblieben sind.
In Chisinau angekommen besuchten wir u.a. verschiedene Sportgeschäfte, für die sich besonders Heiko als Sportlehrer interessierte, und ein Einkaufszentrum ganz in der Nähe des „Cosmos“. Dieser Super-Markt unterscheidet sich, was das Angebot anlangt in keiner Weise von den Märkten wie Kaufland, Rewe, Edeka usw. bei uns. Alles blitzsauber, freundliches Bedienungspersonal und ein Angebot an bessarabischen Spezialitäten, dem wir nicht widerstehen konnten. Eine „gläserne“ Bäckerei/Konditorei mit Riesenangebot an Backwaren, Torten und Kuchen bestätigte den guten Gesamteindruck noch. Insgesamt betrachtet hat sich Chisinau mit offiziell 665.000 Einwohnern offensichtlich weiterentwickelt, auch wenn verkehrstechnisch und in den Randbezirken vieles noch im Argen liegt. Unseren letzten Abend in Chisinau schlossen wir mit einem üppigen bessarabischen Essen im Restaurant „La Placinte“ ab.
8. Tag – Freitag, 12. August 2011 (Temperatur 30°C)
Der letzte Tag begann mit Koffer packen, frühstücken und aus-checken….
Danach machten wir nochmals einen ausgiebigen Bummel durch das Stadt-Zentrum mit den dort befindlichen Markt-Ständen. Im Super-Markt besuchten wir den Spezialitäten-Bereich und kauften uns zum Mittagessen einige „Schmankerln“, die es bei uns nicht gibt. Gegen 14:00 Uhr brachte uns Valery dann zum Flughafen, wo wir um 15:00 Uhr den Heimflug antraten.
Fazit: Die Reise entsprach unseren Vorstellungen und hat unsere Erwartungen voll und ganz erfüllt. Die Erlebnisse mit Land und Leuten waren durchweg positiv. Die Unterbringungen in den Hotels „Azalia“ in Cahul und „Cosmos“, Chisinau, mit Frühstück, Dusche und WC waren gut. Das Angebot an Sehenswürdigkeiten, sowohl landschaftlicher, als auch kultureller Art ist groß – man muss sich nur dafür interessieren. Die Diskrepanz zwischen Land und Stadt ist gravierend und unübersehbar. Dementsprechend sind auch die Einkaufsmöglichkeiten, die gastronomischen Angebote und die Infrastruktur. Politisch gesehen scheint Moldawien noch den für das Land geeigneten Weg zur Demokratie zu suchen. Der Wille dazu besteht offenbar.
Organisation, Ablauf und Betreuung durch unseren Reiseleiter Valery Skripnik waren optimal und verdienen die Note eins! Deshalb nochmals ein großes Dankeschön an Valery für den tollen Rundum-Service. Kurzum, eine interessante, erlebnisreiche Reise in mein Geburtsland, dessen Entwicklung mir am Herzen liegt und die ich gerne weiter verfolgen möchte.

Die weite bessarabische Landschaft bei Albota.
Thorsten Hiller
Text: Helmut Hiller, Suhlweg 47, 74595 Langenburg, Tel. 07905-940158,
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