Ermstal hilft Tourbericht: Tour 49
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ERMSTAL HILFT e.V.
Nach Planung, Materialbeschaffung und Zollformalitäten geht es am 3.4.2023 gegen 18.00 Uhr mit drei Transportern los. Kurz vor Abfahrt bekommen wir doch noch die ersehnten Medikamente, welche einen Transport von Schwerverletzten in ein Krankenhaus möglich machen.
Wir fahren die Nacht hindurch, laden in einem Baumarkt im verschneiten rumänischen Sibiu vorbestellte Gartengeräte für die Selbstversorger ein (die Russen haben beim Abzug alles, wirklich alles, mitgenommen) und übernachten bei Freunden in den rumänischen Karpaten. Wir machen uns etwas Sorgen um den Schneefall, 25 Zentimeter sind an diesem Tag schon liegen geblieben, die Nacht über soll es weiter schneien.
Wir kommen pünktlich um 5.00 Uhr am Mittwochmorgen los und haben Glück, das Schneechaos hält sich in Grenzen. Dennoch kommen wir etwas später am Fährhafen im rumänisch-krainischen Donaudelta an und es schafft nur ein Transporter pünktlich auf die 12.00 Uhr Fähre in die Ukraine. Wir genießen als humanitärer Transport Sonderrechte und dürfen auf der Diplomatenspur an Grenzen und Häfen vorfahren, aber bis das allen erklärt ist, die im Weg stehen, verging zu viel Zeit.
Wir treffen uns zur gemeinsamen Weiterfahrt nach der nächsten Fähre, welche nur im Drei-Stundentakt fährt. Wir haben genug Zeit, die Ausgangssperre gilt seit neuem erst ab 24.00 Uhr.
Am Abend in Sarata angekommen, sitzen wir bei leckerem Abendessen mit Bürgermeisterin Victoria Raicheva, dem Stellvertreter Vladimir Prodanov und dem Leiter des Hauptamtes zusammen und besprechen die aktuelle Lage. Für Sarata haben wir diesmal ein Starlink Abo im Gepäck. Da wird nur ein Link und das Geld für ein Jahresabo übergeben; leichtes Gepäck. Der Rest vom Abendessen wird uns als Verpflegung eingepackt. Unsere Freunde denken mit und umsorgen uns prächtig.
Am Donnerstag, den 6.4. starten wir pünktlich um 6.00 Uhr früh. Der Bürgermeister von Arzys Sergey Parpulansky, welcher bisher die Lieferung ins Gebiet Mykolajiw organisiert hat, seine Assistentin Natalia Poroschenko und die Deutschlehrerin Natalia Petrenko begleiten uns mit dem PKW. Das gibt uns ein gutes Gefühl und erleichtert das Passieren der unzähligen Checkpoints ungemein. Aufgrund der durch einen Raketenangriff zerstörten Brücke müssen wir um den Dnister herumfahren, durch das Gebiet der Republik Moldau. Das kennen wir schon und das ist einfacher als es sich anhört. Die Straße wurde unbürokratisch unter ukrainische Hoheit gestellt und die Moldauer kontrollieren nur die Ein- und Ausfahrt. Also nur zwei Checkpoints mehr.
An Odessa und Mykolajiw vorbei fahren wir auf immer schlechteren Straßen ins befreite Gebiet. Teilweise haben die Russen die Kommunen nur beim durchfahren zerstört, teilweise haben sie dort länger gewütet. Die Worte, die einem auf der Zunge liegen, sind nicht pressetauglich.
Am ersten Abladeort, in Pernomaysk, waren die Russen länger. Viele Bewohner, fast alles Ältere, stehen schon lange in der Kälte und warten auf uns. Sie hoffen, irgendetwas abzubekommen. Wir müssen sie erst einmal zurückdrängen, um ausladen zu können. Vor allem die Schaufeln, Spaten, Hacken und Rechen zaubern ein kleines freudiges Lächeln in die sonst von Verzweiflung und Entschlossenheit gleichermaßen geprägten Gesichter. Das Bild brennt sich ein, das werden wir nicht vergessen.
Nach den Formalitäten, wir lassen uns den Empfang mit Stempel und Unterschrift bestätigen, gibt es einen Gedankenaustausch, Dankesworte und einen kleinen Spaziergang durch eine völlig zerstörte Stadt. Das live zu sehen ist etwas ganz anderes als Nachrichtenbilder.
Auch in Baschtanka werden wir erwartet, aber es bietet sich uns ein völlig anderes Bild. Der Großteil der Stadt ist unbeschädigt. Die Russen haben im Vorbeifahren u.a. das Krankenhaus, eine Kindersportschule, das Rathaus, andere öffentliche Gebäude, Versorgungseinrichtungen und nur einzelne Häuser zerstört.
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In Baschtanka haben die russischen Truppen im Vorbeifahren Gebäude und Einrichtungen zerstört
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Eine Frau entschuldigt sich für die schlechten Straßen, über welche wir mit unseren schönen Autos fahren müssen, und sagt: „Wissen Sie, hier sind die Russen mit 300 Panzern und schwerem Gerät durchgefahren, sie haben wahllos geschossen und geschlachtet.“ Sie wischt Tränen weg und wir stehen ziemlich belämmert daneben. Die Transporter sind alle gleich beladen, jede Kommune bekommt dasselbe Hilfspaket. Wir konnten im Vorfeld nicht ungleich laden, nach welchen Kriterien hätten wir das tun sollen.
Auch in Baschtanka erörtern wir die Lage und fragen vorsichtig nach zukünftigen Entwicklungen und Bedürfnissen. Die To-Do-Liste wird wieder einmal länger als unser Kontoauszug. Wir werden uns nach schwerem Gerät zur Beseitigung der Ruinen und für den Wiederaufbau umschauen müssen und tüfteln bei der Weiterfahrt an logistischen Lösungen, man wächst ja bekanntlich mit den Aufgaben.
In Beresnehuwate erwartet uns die kleinste Kommune, welche aber bislang von Hilfslieferungen kaum oder gar nicht profitieren konnte. Die Ladung wird in einem stabilen Stall mit dicken Mauern „versteckt“. Wir sind hier schon sehr nahe an der Front. Die Menschen wollen nicht weg und sie wollen es den Russen im Falle eines erneuten Angriffs auch nicht einfach machen. Mit solchen Situationen sind wir mental etwas überfordert. Auch hier tauschen wir noch Geschenke aus und trennen uns dann von Bürgermeister Parpulansky und den beiden Natalias. Sie fahren mit dem PKW zurück nach Arzys. Wir sind wesentlich langsamer und beschließen, nach der Knochentour in Mykolajiw zu übernachten. Um 20.30 Uhr (MEZ 19.30) steht eine Videoschalte ins Café Kyjiw in Metzingen an. Obwohl das Internet in der Ukraine auch unterwegs besser ist als in Deutschland, wollen wir die Schalte vom Hotel oder Restaurant aus machen. Dem Hunger zuliebe wählen wir die Restaurantvariante. In einem super schicken Restaurant bestellen wir Steaks, Pizza, Salat, Bier und sitzen direkt neben einem großen Tisch mit über zehn ukrainischen Soldaten, die auch diesen Luxus genießen. Der Unterschied zum bisherigen Tagesgeschehen könnte nicht größer sein.
Die Videoschalte klappt nur teilweise, wir bekommen aus Metzingen keinen richtigen Ton.
Auch BM Parpulansky und die beiden Natalias schalten sich aus dem Auto dazu. Wir nutzen zusätzlich ein Telefon, grüßen, teilen mit, dass es uns gut geht, und müssen dann leider abbrechen. Der Blick via Videochat in dieses luxuriöse Restaurant hat unsere Tour zwar nicht widergespiegelt, aber die ukrainischen Gäste in der Begegnungsstätte Café Kyjiw kennen die Umstände ohnehin besser als wir. Der Krieg hat viele Gesichter.
Mykolajiw ist eine der am meisten umkämpften Städte, gilt sie doch als Tor zum Hafen Odessa und liegt auf dem Weg zur Krim. Diesem Ruf wird die Stadt Gott sei Dank erst einige Stunden nach unserer Abfahrt am nächsten morgen um 5.00 Uhr gerecht. Ein Raketenangriff wird von der Luftabwehr am Vormittag erfolgreich abgewehrt. Durch die Nachrichtenticker und unser Backoffice erfahren wir, dass in
der Nacht Gebiete hinter uns, neben Odessa beschossen wurden. Wir werden später relativ nahe daran vorbeifahren. Angst hatte keiner von uns, zu keiner Zeit. Ein Phänomen, dass wir uns ehrlich gesagt auch nicht erklären können.
Da wir ohne Kaffee und Frühstück gestartet sind, fahren wir nur die kurze Strecke nach Odessa und sind dort bei Alyona zum Frühstück eingeladen. Alyona war im Ermstal, ist aber wieder zurück nach Odessa und so können wir uns auf Deutsch austauschen. Unterbrochen wird das Frühstück von der Polizei. Die Hausmeisterin hat unseren Besuch gemeldet. Im engen Flur, die Maschinenpistole drückt ungewollt in den Bauch von Martin, versuchen wir eine Klärung. Angeblich hat der Freund von Alyona etwas Beleidigendes gesagt. Das ganze Land ist im Ausnahmezustand, wir haben Verständnis dafür und werden den Sachverhalt aus unserer Sicht für Polizei und Gericht schriftlich von zu Hause aus schildern.
Am Checkpoint vor Arzys werden wir angehalten und es wird telefonisch verifiziert, dass wir in der Schule erwartet werden. Im Nachgang zu Schüleraustauschen vor der Coronazeit und der Videoschalte zwischen den Schulen in Bad Urach, Metzingen und Arzys haben wir Bücher, Arbeitshefte, Puzzle, Lehr- und Kartenmaterial im Gepäck. Die Schulgebäude von 1890 hätten längst erneuert werden sollen, Pläne und Budget waren bereit, ob der Krieg noch Mittel dafür lässt, ist offen. Alle Eingänge sind mit Betonwänden und Sandsäcken extra gesichert, einen bunkertauglichen Keller gibt es nicht. Es gilt das Zwei-Wände-Prinzip: als Bunker werden Gänge genutzt, welche nach den Seiten und nach Oben mindestens zwei Wände haben. Die Schüler erkennen uns von der Videoschalte, sie haben für uns gebastelt und sich fleißig auf unseren Besuch vorbereitet. Sie zeigen uns stolz das EDV-Klassenzimmer und die ganze Schule. Wir verbringen eine sehr angenehme und anregende Zeit dort. Die Jugend der Ukraine ist für die Zukunft gerüstet und mächtig motiviert. Den Zusammenhalt und den Willen, die Ukraine wieder aufzubauen, können wir deutlich spüren.
Wir regen nochmals digitale Brieffreundschaften an und werden das auch in Bad Urach und in Metzingen tun.
Wir besichtigen noch das Museum Arzis. Topaktuell liegen am Eingang Reste von Raketen. Arzys ist eine der am meisten beschossenen Städte in Bessarabien.
Am Samstag, den 8.4. lassen wir es langsamer angehen. Wir besuchen unterwegs ein paar Dörfer, Friedenstal, Teplitz und Paris, bringen dann der Schule in Alt-Postal einen von der Feuerwehr Bad Urach gespendeten 8-KW-Generator und verbinden die Auslieferung der restlichen Hilfspakete mit einem kleinen Sightseeing vor Ort.

In weiteren Lieferungen will Emstal hilft schweres Gerät zur Beseitigung der Ruinen liefern
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In Tarutyno besuchen wir den Markt und sind überrascht vom umfassenden Angebot. Bei der Feuerwehr liefern wir Medikamente, Feuerwehrmonturen und Stiefel ab, welche von dort weiter verteilt werden. Wir werden zum Abendessen eingeladen, das hat fast schon Tradition. Bei Schaschlik, geschmortem Gemüse, Brot und dem einen und anderen alkoholischen Getränk diskutieren wir am Abend die Lage und tauschen auch Privates aus. Lange vor der Ausgangssperre gehen wir zurück in unser sehr bequemes Quartier bei Larissa und treten am Sonntagfrüh um 6.30 Uhr nach ausgiebigem Frühstück die zweitägige Heimreise über die Republik Moldau an. Nach 4.985 Kilometern kommen wir, Simon Nowotni, Martin Salzer, Simon Jell, Michael Winter, Jochen Wennagel und Holger Weiblen, am Ostermontag gegen 15.30 Uhr müde, voller Eindrücke und neuer Pläne in Dettingen an.
Wir werden wieder fahren und wir werden unser Hilfskonzept aktualisieren. Wir wollen zukünftig mehr Waren direkt in der Ukraine kaufen, damit die Wertschöpfung dort bleibt und wir uns den anstrengenden und teuren Transport soweit wie möglich sparen können. Wir haben einige vielversprechende Kontakte mit Baumärkten und Lieferanten geknüpft. Bei rechtzeitiger Bestellung sind eventuell mittelgroße Stückzahlen in überschaubaren Zeiträumen zumindest bei manchen Waren möglich.
Alle, die uns unterstützen wollen, bitten wir daher aktuell vor allem um Geldspenden:
Bessarabiendeutscher Verein e.V.
IBAN: DE33 5206 0410 0000 6091 53
BIC: GENODEF1EK1
Evangelische Bank eG
Kennwort: Flüchtlingshilfe
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bitte Name und Adresse angeben)