Eine Museumslandschaft in Bessarabien entsteht
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Bessarabiendeutscher Verein e.V.
Die Kultur und Geschichte der Deutschen aus Bessarabien zu bewahren und zu pflegen ist das Hauptanliegen des Bessarabiendeutschen Vereins. Was liegt näher als ein Museum, um diese Aufgabe zu erfüllen. In Stuttgart haben wir das Heimatmuseum der Bessarabien- und Dobrudschadeutschen. Doch kann man auch in der alten Heimat, in Bessarabien und in der Dobrudscha, ein Museum der ehemals dort lebenden Deutschen erwarten?
In Bessarabien gab es das Kulturhistorische Museum der deutschen Kolonisten Bessarabiens, das 1922 in Sarata anlässlich der 100-Jahr-Feier der Ortsgründung entstand (Olaf Schulze: „Das Kulturhistorische Museum der deutschen Kolonisten Bessarabiens in Sarata“, in: 200 Jahre Sarata – Bessarabien im Wandel, Festschrift zum 45. Bundestreffen des Bessarabiendeutschen Vereins, Stuttgart 2022, Buchversand des Bessarabiendeutschen Vereins Nr. 1583, Seite 41-47). Im Jahr 1931 wurde auch in der Schweizer Kolonie Schabo ein Museum gegründet. Beide Einrichtungen endeten mit der Umsiedlung der Deutschen im Herbst 1940. Interessanterweise gibt es in beiden Orten – und nicht nur hier – heute wieder ein Museum, das die deutschen Ortsgründer zumindest erwähnt. Das ist keineswegs selbstverständlich, denn in den langen Jahren der Sowjetherrschaft ging in Bessarabien die Kunde von den einstmals dort lebenden Deutschen nahezu vollständig verloren.
Bessarabienreisen
Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, 50 Jahre nach der Umsiedlung, kamen die Deutschen als Besucher zurück nach Bessarabien. Geleitet von dem damaligen Bundesvorsitzenden Edwin Kelm brachten die Bessarabienreisen jeden Sommer Hunderte zurück in die alte Heimat, die sie als Kinder und junge Erwachsene verlassen hatten. Sie suchten ihre Geburtshäuser auf, fanden sie oftmals nahezu unverändert und wohlgepflegt, nicht selten aber auch verfallen oder ganz verschwunden – in jedem Fall ein hoch emotionales Erlebnis. Von den Einheimischen, so erzählt man, wurden die Deutschen anfangs durchaus misstrauisch angesehen, man befürchtete, dass sie ihren zurückgelassenen Besitz wiederhaben wollten. Sobald dieser Verdacht ausgeräumt war, waren die deutschen Besucher willkommen. Sie brachten ein wenig Geschäft und Hilfslieferungen in die unterentwickelte Region. Es entstanden freundschaftliche Beziehungen und ein gegenseitiges Kennenlernen der ehemaligen und der heutigen Bewohner unserer Heimatdörfer.
Erinnerungsorte der Deutschen in Bessarabien
Edwin Kelm verband die Bessarabienreisen mit einem weitgespannten humanitären Engagement und mit der Errichtung von Erinnerungsorten, für die er als Bauunternehmer prädestiniert war. Andere folgten seinem Beispiel. Heute erinnern, neben den von Deutschen erbauten Häusern und Dorfanlagen, eine Reihe von Sehenswürdigkeiten an die deutschen Siedler in Bessarabien.
Die Kirche in Sarata (Ukraine) (Thomas Krüger: „Die Kirche von Sarata“, in:200 Jahre Sarata – Bessarabien im Wandel, Festschrift zum 45. Bundestreffen des Bessarabiendeutschen Vereins, Stuttgart 2022, Buchversand des Bessarabiendeutschen Vereins Nr. 1583, S. 16-19.), errichtet 1840, war die älteste evangelische Kirche in Bessarabien. In der Sowjetzeit diente sie als Offizierskasino und Diskothek. Sie wurde 1996 renoviert, der Glockenturm wiedererrichtet, und der bulgarischen baptistischen Gemeinde als Gotteshaus übergeben. Die Kirche in Albota (Moldau) wurde renoviert und der orthodoxen Gemeinde als Gotteshaus übergeben.
In der Kirchenruine in Lichtental (Ukraine) wurde im Altarraum unter freiem Himmel ein Kreuz errichtet und Sitzbänke aufgestellt.
Gedenksteine in etwa 60 Dörfern, oftmals auf den zerstörten Friedhöfen errichtet, erinnern an die deutschen Bewohner.
Das Bauernmuseum in Friedenstal (Ukraine), mit einer Sammlung originaler Landmaschinen, wurde von Edwin Kelm auf dem ehemaligen Hof seines Großvaters eingerichtet und dem Bessarabiendeutschen Verein übereignet.
Im Knabengymnasium in Tarutino (Ukraine), erbaut 1912, wurden Klassenzimmer renoviert und als Seminarräume hergerichtet. Eine Kurzfassung der Ausstellung „Fromme und tüchtige Leute“ ist hier installiert. Die Nutzung wurde dem Kulturverein „Bessarabisches Haus“ in Tarutino übertragen.
Ein Denkmal der deutschen Kolonisten (Sigrid Standke, Renate Tarnaske: „Das Denkmal der Bessarabiendeutschen im Park von Tarutino“, in: MB 12-2022, S. 14) wurde im Jahr 2014 in Tarutino errichtet.
Der deutsche Friedhof in Tarutino wurde gejätet, die Grabsteine wiederaufgerichtet.
In Sarata und in Tarutino wurden mehrsprachige Informationstafeln an ehemals deutschen Einrichtungen angebracht. In dieser Liste nicht erwähnt sind Maßnahmen, die ohne Einbeziehung des Bessarabiendeutschen Vereins von Privatpersonen vorgenommen wurden.
Die genannten Erinnerungsorte waren fester Bestandteil der Bessarabienreisen, doch die Pflege erwies sich als ein Problem. Mancher Gedenkstein konnte nicht vor Verfall und Vandalismus geschützt werden. Ein trauriges Beispiel ist der Friedhof in Tarutino, der 2014 zur 200-Jahr-Feier hergerichtet wurde und nach wenigen Jahren wieder zugewachsen war. Im Bessarabiendeutschen Verein reifte die Einsicht, dass nur solche Maßnahmen in Bessarabien von Bestand sein können, die von den heutigen Bewohnern mitgetragen werden.
Bessarabische Ortsmuseen
Seit der Amtszeit von Günther Vossler (2011-2019), unter dessen Leitung die oben genannten Maßnahmen in Tarutino entstanden, wurde gezielt nach ukrainischen und moldauischen Einrichtungen Ausschau gehalten, die als Kooperationspartner für deutsche Erinnerungsorte in Frage kommen. Nach und nach wurden eine ganze Reihe von bessarabischen Ortsmuseen bekannt.
Frumuschika Nova (Ukraine) ist ein Freilichtmuseum, ein Museumsdorf mit transluzierten historischen Wohnhäusern der verschiedenen Ethnien Bessarabiens aus dem frühen 20. Jahrhundert. Es gibt ein moldawisches, ukrainisches, russisches, bulgarisches, deutsches, gagausisches und jüdisches Haus.
Das Kulturhistorische Museum in Sarata möchte seine Ausstellung umgestalten und die Siedlungsgeschichte der Deutschen in Sarata und in ganz Bessarabien in den Mittelpunkt stellen. Diese Idee ist eingebunden in ein Regionalentwicklungskonzept zur Förderung des Tourismus in Bessarabien (Liubov Klym: „Das historische Kulturerbe von Sarata als Grundlage für die Entwicklung des Tourismus“ in: 200 Jahre Sarata, S. 51-54). In Sarata wurde 2002 ein Denkmal für den Ortsgründer Ignaz Lindl errichtet. Der Lutherische Friedhof wurde 2018 wiederhergestellt. Beim Bundestreffen 2022 kam ein erster Austausch mit dem Heimatmuseum in Stuttgart zustande.
Das Haus der Geschichte in Hoffnungsfeld (Ukraine) wurde auf dem Hof der Vorfahren von Günther Vossler eingerichtet. Es zeigt die Geschichte des Dorfes in zwei Abschnitten: die Dorfgründung 1864 und das Leben der deutschen Bewohner bis 1940, sowie die Entwicklung des Dorfes nach 1945 bis heute.
In Kisil/Ștefan Vodă (Moldau) gibt es eine Initiative, ein „Deutsches Museum Kizil“ zu errichten (Anatol Cîrnu et al.: „Ștefan Vodă – Geschichte der ehemaligen deutschen Kolonie Kizil“, in: MB 02-2022, S. 13-16).
Das Geschichts- und Heimatmuseum in Arzis (Ukraine) stellt den multiethnischen Charakter der Region in den Mittelpunkt und ist besonders in der Bildungsarbeit aktiv. Das Museum präsentiert sich im Internet unter Facebook und neuerdings auch in dem deutschen Portal „Museum digital“. Das Heimatmuseum in Stuttgart hat als ersten Schritt einer Zusammenarbeit einen Satz Bildpostkarten mit historischen Dorfansichten übergeben.
Das Historische Museum „Jekaterinowka“ (Moldau) wurde im Jahr 2023 in einem alten deutschen Gutshof eingerichtet. Ein erster Kontakt mit dem Bessarabiendeutschen Verein ist hergestellt.
Von weiteren bestehenden Museen und Museumsstuben
haben wir gehört, u.a. in Akkerman, Alexandrowka, Alt-Posttal,
Beresina, Dennewitz, Krasna, Schabo, ohne bisher genaueren Einblick
nehmen zu können.
Das Bundestreffen des Bessarabiendeutschen Vereins am 2. Juni 2024 in Stuttgart hat Gelegenheit gegeben, den Kontakt mit den bessarabischen Ortsmuseen zu vertiefen. Neben Sarata, das im Jahr 2022 bereits da war, sind in diesem Jahr auch Vertreter der Museen in Arzis und in Jekaterinovka gekommen. Im Moment muss der Austausch von Informationen und Konzepten noch am Grünen Tisch stattfinden, denn die Kriegssituation begrenzt den Spielraum für konkrete Maßnahmen. Die Vision, die uns leitet, ist eine Museumslandschaft mit vielfältigen, einander ergänzenden Beiträgen zur Kultur und Geschichte der Deutschen im multiethnischen Bessarabien.
Und die Dobrudscha?
Auch in der kleineren Gruppe der Dobrudschadeutschen gibt es Ansätze zur Errichtung eines Erinnerungsortes in der Dobrudscha.
Die Ruine der Katholischen Kirche in Malkotsch war lange Zeit unser Leitprojekt für die Schaffung eines Erinnerungs- und Begegnungsortes der Dobrudschadeutschen. Nachdem das Objekt vor drei Jahren zum nationalen historischen Baudenkmal Rumäniens erklärt wurde, ist die Initiative an rumänische Stellen übergegangen. Der Bessarabiendeutsche Verein steht als Kooperationspartner beratend zur Seite.
Die ehemalige deutsche Schule in Konstanza ist eine Begegnungsstätte der noch bestehenden deutschen Minderheit in der Dobrudscha.
Die Volkskundemuseen in Konstanza und in Tulcea sollen zukünftig bewegt werden, das Thema der ehemaligen deutschen Siedler in der Dobrudscha mit aufzunehmen. Hierzu wird der Bessarabiendeutsche Verein wissenschaftliche und diplomatische Unterstützung suchen.