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Zeiten des Wandels

Das Bundestreffen 2022 im Kursaal Bad Cannstatt
Das Bundestreffen 2022 im Kursaal Bad Cannstatt
Viel los im Großen Kursaal, Bad Cannstatt

Viel los im Großen Kursaal, Bad Cannstatt

Als um kurz vor zehn Uhr zu den Trompetentönen der Stadtkapelle Esslingen der offizielle Teil des 45. Bundestreffens der Bessarabien- und Dobrudschadeutschen begann, war der Große Kursaal in Bad Cannstatt bei Stuttgart gut gefüllt und voll von freudiger Erwartung – was für eine Erleichterung! War es doch ungewiss, wie viele Landsleute und Freunde des Vereins sich nach erzwungener vierjähriger Coronapause, trotz der abermals steigenden Coronazahlen und der lähmenden Hitze von 37 Grad Celsius, auf den Weg nach Stuttgart machen würden. Es waren an diesem Sonntag, 19. Juni 2022, schließlich 250 Gäste und 30 Mitwirkende. Eine Zahl, mit der der Verein angesichts der Umstände wohl zufrieden sein kann. Positiv stimmte, dass neben den seit Jahren bekannten auch einige junge und sogar sehr junge Gesichter in der Besuchermenge zu finden waren. Die nachfolgenden Generationen sind neugierig auf das Erbe ihrer Großelterngeneration.

Ein hoffnungsfrohes Zeichen für die Zukunft, der sich auch das Motto des Treffens widmete: „200 Jahre Sarata – Bessarabien im Wandel“, anlässlich des 200. Dorfjubiläums des kulturellen Zentrums Bessarabiens in diesem Jahr. Der Vormittag war dem gemeinsamen Festakt im Großen Kursaal gewidmet, der Nachmittag den Fachvorträgen im Großen Kursaal und im Thouret Saal.

Nach einer herzlichen Begrüßung führte uns die Bundesvorsitzende Brigitte Bornemann mit ein paar Worten in das oben genannte Thema ein. Wir würden an diesem Tag vieles über das 1822 gegründete Sarata der Bessarabiendeutschen erfahren, und ebenso über die Fortschritte im modernen Sarata. Doch dies war leider nicht das einzige Thema, das uns durch den Tag begleitete. Allgegenwärtig war der völkerrechtswidrige Angriff auf die Ukraine. Dass trotz des Krieges eine Delegation von 16 Frauen und Männern aus der Ukraine den beschwerlichen Weg auf sich genommen haben, um an diesem Tag bei uns zu sein und uns aus ihrer Heimat zu berichten, lässt uns dankbar sein. Wenn auch viele Ukrainer nicht mitkommen konnten – wie die Bürgermeisterin von Sarata – Victoria Raychewa – die im Angesicht der Kriegsgeschehnisse ihre Gemeinde nicht alleine lassen konnte, uns aber in einer Video-Botschaft grüßte.

Geistliche Worte

Es wäre wohl kein Treffen der Bessarabien- und Dobrudschadeutschen, wenn nicht auch christliche Töne zu hören wären. In seiner Andacht erzählte Pastor i.R. Karl-Heinz-Ulrich von seiner Zeit in der Ukraine, den Wurzeln in der alten Heimat und seiner Angst um die Menschen, die dort im Krieg leben. Trotz der nachdenklichen Worte: während der Andacht gemeinsam mit 250 Menschen singen zu dürfen, dank der aufgehobenen Corona-Beschränkungen, das war ein schönes Gefühl. Gesungen haben wir – begleitet von der Stadtkapelle Esslingen – auch zum Abschluss des Festaktes noch einmal: in guter, alter Tradition das Bessarabienlied von Albert Mauch und erstmals, anstelle des Deutschlandliedes, die Europahymne – als Zeichen der Verbundenheit mit ganz Europa und der Hoffnung, dass dies nicht nur neue Tradition, sondern wegweisendes Zeichen werden möge. 

Egon Sprecher übernahm das Totengedenken. Seine Gedenkworte galten Edwin Kelm, Günther Vossler und Arnulf Baumann aus dem Verein und schlossen auch die Soldaten und Kriegstoten in der Ukraine mit ein.

Grußworte

Ingo R. Isert, Hartmut Knopp, Brigitte Bornemann zusammen mit Frank Nopper, Thomas  Strobl, S.E. Aurelio Ciocoi, Radu-Dumitru Florea und Mihail Capatina

Ingo R. Isert, Hartmut Knopp, Brigitte Bornemann zusammen mit Frank Nopper, Thomas Strobl, S.E. Aurelio Ciocoi, Radu-Dumitru Florea und Mihail Capatina

Nach der Andacht war die Bühne frei für die Ehrengäste aus der Politik. S.E. Aurelio Ciocoi, Botschafter der Republik Moldau, Dr. Radu-Dumitru Florea, Generalkonsul von Rumänien, Dr. Frank Nopper, Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Stuttgart, und Thomas Strobl, Innenminister und Vertriebenenbeauftragter des Landes Baden-Württemberg, gaben uns freundliche, versöhnliche und nachdenkliche Worte mit für den Tag. Nicht persönlich zu uns sprechen konnte Natalie Pawlik, Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten.

Wir hörten etwas zur Geschichte Saratas und der Auswanderung der Bessarabiendeutschen vor 200 Jahren, von der guten Arbeitsmoral der deutschen Siedler und den guten Beziehungen zu den anderen Volksgruppen. Manche Spuren der deutschen Kultur finden sich bis heute in den ehemaligen Siedlungsgebieten. So essen die Moldauer gerne Strudeln und verwenden das deutsche Wort „Oberlicht“. Und wenn man in Rumänien etwas auf „deutsche Weise“ macht, dann möchte man es richtig gut machen.
Doch es waren nicht nur die leichten Töne, die an diesem Vormittag angeschlagen wurden. Angesichts des Krieges stand auch das Thema Flucht und Vertreibung in Zusammenhang mit Zwangsmigration sowie die psychischen Folgen, die hiermit einhergehen, im Raum. Was macht dieser traumatische Einschnitt mit Menschen, wie können sie ihre Traumata bewältigen? Wir hörten von der Sorge und Verunsicherung des rumänischen Volkes angesichts des Krieges in der Ukraine – wie wird es weitergehen, wird die russische Armee an den Landesgrenzen stoppen? Auch in der Republik Moldau sind die Sorgen groß. Der Botschafter nannte den Krieg die „Katastrophe des 21. Jahrhunderts“ und äußerte die Sorge, dass die europäische Idee angesichts der Übergriffe Russlands – zuvor schon 2008 auf Georgien und 2014 auf die Krim – und der Tatenlosigkeit der europäischen Nachbarn versagt haben könnte.

Ehrungen

Ein Fläschchen Wein für die Referenten. Olaf  Schulze, Elena Menshikova, Alexander  Prigarin, Liubov Klym, Brigitte Bornemann,  Vladimir Prodanov

Ein Fläschchen Wein für die Referenten. Olaf Schulze, Elena Menshikova, Alexander Prigarin, Liubov Klym, Brigitte Bornemann, Vladimir Prodanov

Wichtiger Programmpunkt war die Überreichung dreier Ehrennadeln samt Urkunde und Blumenstrauß. Simon Nowotni erhielt für seine Initiative Ermstal Hilft die Silberne Ehrennadel, Dr. Ute Schmidt und Ingo R. Isert wurden für ihr Lebenswerk mit der Goldenen Ehrennadel ausgezeichnet.

Hartmut Knopp durfte am Ende des Festaktes die Dankesworte sprechen. Auch an dieser Stelle noch einmal einen herzlichen Dank an all diejenigen, die vor und hinter den Kulissen unermüdlich gearbeitet haben – an den Kassen, dem Büchertisch, den Infoständen, der Tombola, all diejenigen, die schon seit Wochen Materialien zusammengetragen und Vorträge vorbereitet haben und natürlich all den Referenten und Moderatoren. So viele wundervolle Leute, die alle zusammen diesen tollen Tag erst möglich gemacht haben.

In den Pausen

Ein zünftiges schwäbisches Mittagessen

Ein zünftiges schwäbisches Mittagessen

Pünktlich um 12 Uhr gab es Mittagessen – Schwäbische Maultaschen mit Kartoffelsalat. Die Ehrengäste fanden sich währenddessen zum Sektempfang mit Schnittchen im Touret-Saal ein. Nachmittags gab es für alle Kaffee und Kuchen.

Die Pausen boten auch Zeit für die Besucher, die Stände zu erkunden – Familienforschung, Mitteilungsblatt, Auswandererlisten und Bücherstand zogen viele Neugierige an. Einigen mag aufgefallen sein, dass es in diesem Jahr keinen Spezialitätenverkauf gab. Angesichts des Krieges war es nicht möglich, die üblichen Waren – Wein, Spirituosen, Halva und andere Delikatessen – in den erforderlichen Mengen über die Grenze zu bringen. Nur einige wenige Flaschen aus dem bessarabischen Weingut Schabo wurden uns aus Privatbeständen überlassen. Diese wurden in einer Tombola verlost. Die Aktion wurde überwältigend gut angenommen und alle Lose verkauft. Der Erlös von insgesamt 1010 Euro kommt dem Heimatmuseum zugute.

Sarata im Wandel

Im Thouret Saat bei den Impulsvorträgen

Im Thouret Saat bei den Impulsvorträgen

Nach der Mittagspause begannen die Vorträge zum Thema des Tages. Im Großen Kursaal sahen die Besucher den Bildervortrag von Vladimir Prodanov, Sekretär der Gemeinde Sarata, „Was tut sich in Sarata“. Anschließend referierte Prof. Alexander Prigarin von der Universität Odessa über das Schüleraustauschprojekt mit der Georg-Goldstein-Schule, das schon seit mehreren Jahren erfolgreich durchgeführt wird. Nach der Kafeepause erfuhren wir, was es mit dem Kulturhistorischen Museum der deutschen Kolonisten Bessarabiens auf sich hatte, das ab 1922 18 Jahre lang von Lehrern der Wernerschule aufgebaut wurde. Referenten waren Olaf Schulze, Kurator des Museums in Stuttgart, sowie Liubov Klym, Leiterin des Museums in Sarata.

Interaktives Gegenstück zu den Vorträgen im Großen Kursaal waren die gleichzeitig vorgetragenen Impulsvorträge mit anschließender Diskussion im Thouret-Saal. Die Beteiligung war rege und wie so oft hätten die Teilnehmer gerne mehr Zeit gehabt, um die Thesen zu erörtern. 
Zwei Mal an dem Nachmittag erfreute uns die Volkstanzgruppe aus geflüchteten ukrainischen Jugendlichen mit ihren schwungvollen Tänzen auf der Bühne des Großen Kursaales. Eine angenehme Abwechslung.

Ein Gruß zum Schluss

Egon Sprecher resümierte den Tag und sprach anschließend einen Reisesegen in Form eines jüdischen Reisegebets. Es beginnt mit den Worten: „Herr, unser Gott, möge es dein Wille sein, uns in Frieden zu leiten…“ ein Wunsch, der aktueller nicht sein könnte.

Ein paar Tage nach dem Bundestreffen, am Mittwoch, den 22. Juni, war dann Abschiedstreffen mit den ukrainischen Gästen im Heimathaus in Stuttgart. Einige von ihnen haben die Zeit in Deutschland genutzt, um das Grab von Ignaz Lindl zu besuchen. Bald darauf machten sie sich wieder auf den Weg in ihre Heimat.