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Ottomar Schüler wird 90

Max Rosskopf · 01. April 2024
Ottmar Schüler
Ottmar Schüler

Ottomar Schüler ist, wie auch meine Frau Hedi Rosskopf, in Seimeny, Bessarabien, geboren. Er ist einer der ganz wenigen, heute noch lebenden Zeitzeugen der Geschichte dieser Volksgruppe. Er ist bessarabisches Urgestein im besten Sinne und hoch geschätztes Mitglied der Gruppe „Fromme und Tüchtige Leute“.

Ich bin kein Bessaraber aber ich kenne Ottomar Schüler aus vielen Begegnungen und aus intensiver Zusammenarbeit im Team Seimeny Com. Das veranlasst mich, diese Hommage für ihn zu schreiben. Weil über ihn schon sehr viel in den Mitteilungsblättern publiziert wurde, möchte ich mich auf Wesentliches beschränken.


Lieber Ottomar,

Als Mitglied im Bessarabiendeutschen Verein hast Du Dir in vielerlei Hinsicht beachtliche Verdienste erworben. Ab 1980 warst Du Sprecher der Heimatgemeinde Seimeny. Alle zwei Jahre hast Du zu Heimatgemeinde Treffen eingeladen und den Teilnehmern in einem attraktiven Programm Gemeinschaft, Information und interessante Gastbeiträge geboten. Du hast sehr guten Kontakt zur Stadt Ludwigsburg gepflegt, die schon 1955 die Patenschaft für Seimeny übernommen hatte. Diese Beziehung mündete 2015 aus Anlass des 60-jährigen Jubiläums der Patenschaft in eine Ehrung durch OB Herrn Werner Spec und 2016 in einen Besuch des OB mit einer Delegation in Seimeny. Im Januar 2013 wurde Dir die goldene Ehrennadel des Vereins verliehen.


Nachdem Dir dieses Engagement wegen des zunehmenden Alters zu anstrengend wurde, hast Du Dich um einen Nachfolger bemüht. Ein junger Mann, ein Bessarabien-Kenner war dazu bereit, musste aber nach kurzer Zeit aus gesundheitlichen Gründen aufgeben. So habe ich in 2018 diese Rolle übernommen. Wir haben zusammen das Team Seimeny Com gegründet, den Kontakt zu Seimeny neu belebt und humanitäre Hilfe, Ausrüstung und Programm fürs Kulturhaus organisiert.

Unser Jubilar wurde am 01.04.1934 in Seimeny, einem Dorf mit ca. 600 Einwohnern, geboren. Bessarabien gehörte nach dem ersten Weltkrieg zu Rumänien. Sein Vater war Landwirt und Bürgermeister. Seimeny erfreut sich einer wunderschönen Lage am Liman, einem Arm des Dnjestr-Deltas. Das bot Mensch und Tier Gelegenheit zur Reinigung und Erholung.

Im Rahmen des Hitler-Stalin-Paktes mussten 1940 fast 100.000 Bessaraber unter dem Motto „Heim ins Reich“ ihre Heimat, Hab und Gut in Richtung Deutschland verlassen. Per Schiff und Bahn ging es in ein Durchgangslager in Tschechien, um später im Warthegau angesiedelt zu werden. Ottomars Familie erhielt im Kreis Kempen einen Bauernhof, aus dem kurz vorher die Eigentümer vertrieben wurden. Er war ein guter Schüler und durfte nach der 4. Klasse ins Gymnasium wechseln.

1945 rückte die russische Armee heran und die deutschen Siedler waren gezwungen, in Richtung Westen zu flüchten. Manchen gelang es, die Oder rechtzeitig zu überqueren, andere wurden von der russischen Armee eingeholt und in ihre Dörfer in Polen zurückgeschickt. Der Umgang der russischen Soldaten mit den Deutschen, insbesondere mit Frauen und Mädchen, war für den Heranwachsenden grauenhaft und traumatisierte ihn.

Schließlich wurden die Deutschen in Viehwagen nach Kasachstan transportiert, wo sie im Juni ‘45 auf der Kolchose „Stalina“ ankamen. Damit begann für sie und Ottomars Familie die Hölle auf Erden. Mangels geeigneter Unterkünfte lebten sie 2-3 Jahre in Erdlöchern, später in Ställen. Dunkelheit, Hunger und Kälte sowie höllische Plage durch Ungeziefer brachten vielen den Tod.

Allmählich besserte sich die Lage und Ottomar begann eine Ausbildung zum Traktoren-Fachmann. In den Jahren 55/56 besuchte er die Meisterschule für Landwirtschaftliche Maschinen und Traktoren. Als Meister wurde ihm dann auf der Kolchose die Leitung einer Brigade mit 15 Traktoren und 30 Fahrern übertragen. Ein unbeugsamer Überlebenswille, Begabung und persönlicher Einsatz haben ihm diesen Erfolg beschert.

In dieser Zeit fand Ottomar seine Lebenspartnerin Swetlana. Sie war zusammen mit ihrer Mutter aus Moskau nach Kasachstan verschleppt worden. Das Ehepaar bekam in der Verbannung vier Kinder. Der älteste Sohn ertrank mit 4 1/2 Jahren im nahe gelegenen Fluss. Diesen Schmerz konnte das Ehepaar Jahrzehnte lang nicht verwinden. Später in Deutschland kamen noch zwei Kinder dazu. Swetlana starb 2020.

Als seine Brigade im Jahre 59 wegen schlechter Wetterverhältnisse das Soll nicht erfüllen konnte, drohte Ottomar die Verhaftung. Deshalb aktivierte er seine Ausreisebemühungen. Zusammen mit der Mutter wurde er im Büro des Geheimdienstes vorstellig. Als der „Capitanow“ der wartenden Menge verkündete: „keine Ausreisegenehmigungen“, verließen alle Antragsteller verzweifelt den Raum, nur Ottomar nicht. Er erkämpfte sich Zugang zu dessen Büro, meldete sich mit „Schiller“ und sagte, er müsse dringend heim, um die Ernte einzubringen. Der Capitano war beeindruckt, holte die bereits fertige Genehmigung aus der Schublade und gratulierte der Fam. Schüler zur Ausreise. Das war wieder ein Beispiel dafür, wie ein Mensch mit Engagement, mit Rückgrat und ein wenig Glück Erstaunliches erreichen kann.

Wenige Tage nach diesem schicksalhaften Ereignis war die Familie per Bahn unterwegs nach Deutschland, wo sie in Friedland eintraf.

Nach kurzer Integrationszeit fand Ottomar eine Anstellung bei den Stadtwerken Ludwigsburg und blieb dort bis zu seinem Berufsende im Jahr 1994. Vom Kraftfahrer arbeitete er sich hoch zum Mitglied des Personalrates und dann zum Vorsitz des Betriebsrates. Er war Stv. Vorsitzender bei der Gewerkschaft ÖTV Ludwigsburg/Waiblingen, Arbeitnehmervertreter bei der AOK, ehrenamtlicher Richter am Arbeitsgericht Ludwigsburg und Aufsichtsratsmitglied bei den Stadtwerken. In seiner Freizeit gründete er mit Freunden den Schützenverein Eglosheim und wurde zum Oberschützenmeister gewählt. Ausführlichere Informationen sind in den Mitteilungsblättern des Bessarabiendeutschen Vereins vom Juni, Juli und August 2021 veröffentlicht worden.


Lieber Ottomar,
Du hast in allen Phasen Deines aufregenden Lebens Erstaunliches zustande gebracht. Du hast unermüdlich an Deiner Weiterentwicklung gearbeitet, Erfolge erzielt und dabei das Wohl Deiner Wegbegleiter stets im Blick behalten. Nach Deiner Rückkehr nach Deutschland hast Du Dich intensiv für die Belange des Heimatvereins und der Heimatgemeinde vor Ort eingesetzt. In zahlreichen Reisen mit Spendengeldern in der Tasche hast Du den Menschen Hilfe gebracht und bei der Realisierung von Projekten selbst mit angepackt.

Du bist ein kommunikationsfreudiger, aktiver und rhetorisch begabter Mensch.

Not, Hunger und Kampf ums Überleben haben Dich nicht gebrochen. Sowohl in der Verbannung wie auch nach Deiner Rückkehr nach Deutschland warst Du um das Wohl von Menschen in Deinem Umfeld bedacht. Diese Charaktereigenschaften und Dein Engagement in zahlreichen Organisationen wurden mit Erfolg belohnt. Orientierung und Halt hast Du in allen Schwierigkeiten aus Deiner christlichen Erziehung bezogen. Für all dies gebührt Dir Anerkennung und unser aller Dank.

Wir wünschen dir eine frohe, festliche Geburtstagsfeier im Kreis Deiner Lieben und für die kommenden Jahre gute Gesundheit im Rahmen des Möglichen, Lebensfreude und Zufriedenheit.