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Neu-Tarutino

Taiutino-Nou von 1940 bis 1995
Nove Tarutyne/ Nowoje Tarutino seit 1995

Gründungsjahr

1906
Neu-Tarutino
Neu-Tarutino

Landmenge (Hektar) – bei Gründung/bei Umsiedlung

Wahrscheinlich war es eine Folge des Gesetzes zur Agrarreform von 1919, dass die Landmenge von Neu-Tarutino von 1200 auf 1300 Desjatinen, 1936 auf 1386 und 1938 auf 1407 („Kalender für die dt. Kolonisten in Bessarabien“ der Jahre 1922/36/38) erweitert werden konnte; denn dieses Gesetz hatte zum Inhalt, dass alles Land über 100 ha enteignet und an Landarme vergeben wurde. Solche gab es inzwischen auch wieder in Neu-Tarutino durch erfolgte Erbteilungen der einst 30 Desjatinen pro Hof.

Lokalisierung

Neu-Tarutino liegt nur 35 km nördlich von Tarutino und ist von dort am schnellsten über Mintschuna und Josefsdorf erreichbar oder nordwärts von Borodino. Unweit nördlich von Neu-Tarutino verläuft seit 1945 die Grenze zwischen Moldawien im Norden und der südlichen Ukraine. Das Gebiet zwischen den Grenzflüssen Pruth und Dnjestr ist durch den ständigen Wechsel von Tälern und Höhen gekennzeichnet, weshalb Neu-Tarutino, in einem Talgrund liegend, mit seinem Land auf beiden Anhöhen im Westen an Josefsdorf und im Osten an Mathildendorf grenzte, ebenfalls in Tälern liegend. Weitere Nachbarorte im Tal von Neu-Tarutino waren Bartelup im Norden (nach 1945 geschleift) und Kischle im Süden, einst ein Gut des Russen Wassily Donkoglo.

Der Aufbau
Den vorgelegten Dorfplan von 1907 werden die Dorfgründer und Landvermesser gemeinsam entworfen haben. Dabei kamen Ihnen Erfahrungen aus Tarutino zugute, woher Sie auch die Flurnamen entlehnten.

Der Bach durch die Dorfmitte versiegte im Sommer zumeist, sein Wasser reichte aber bis heute zu einem kleinen See, der vor Kischle durch einen Damm aufgestaut wird. Dieser See diente uns einst zum Fischfang und Badevergnügen, dem Gut zum Gemüseanbau durch ein Schöpfwerk. Unsere Gänse und Enten besiedelten den Anger beidseits des Baches.

In der Mitte der westlichen Dorfseite wurde etwa eine doppelte Hofbreite für Einrichtungen des öffentlichen Bedarfs ausgespart. Dort wurde zuerst der Friedhof angelegt, 1913 folgte der Bau des Bethauses und der Schule unter einem Dach, 1915 der Bau der Molkerei zwischen diesem Gebäude an der Dorfstraße und dem Friedhof. Diese Maßnahmen hatten Vorrang vor privaten Hofbauten.

Bethaus und Schule bildeten jeweils die Hälfte des Gesamtgebäudes. Zum Schulbereich gehörte ein großer Klassenraum, die Lehrerwohnung und ein Kanzleiraum für den Bürgermeister. Alle diese Räume wurden vollendet und in Betrieb genommen, das Bethaus jedoch nicht ausgebaut, so dass der Gottesdienst im Schulraum stattfinden musste.
Stattdessen wurde der Bau der Molkerei wohl deshalb vorgezogen, weil die Bauern auf die laufenden Einnahmen aus der Milcherzeugung angewiesen waren. Vielleicht waren es diese großen Anstrengungen, die manche Pächter bewogen, Neu-Tarutino zu verlassen. Ebenso gab es Zuzüge auf deren Höfe wohl auch deshalb, weil in Neu-Tarutino entschlossen für eine lebenswerte Infrastruktur des Dorfes gesorgt wurde.


Karte

Einwohner

Volkszählung 1930: 369 Deutsche / 301 Andere
Einwohner 1940: 411 Deutsche / 7 Andere

Historie

Die Vorgeschichte
Der Kinderreichtum in den deutschen Kolonistendörfern führte sehr bald zu Hof- und Landteilungen und Landmangel am Wohnort. Das Bestreben der Landlosen, Neuland zu kaufen oder zu pachten, um es später zu erwerben, nötigte zur Gründung von Tochterkolonien. Die erste Tochterkolonie war Josefsdorf, ein Nachbarort von Neu-Tarutino, der 1851 durch deutsche Kolonisten aus Borodino und Beresina gegründet wurde.

Die Gemeinde Tarutino begann um 1880 etwas für ihre Landarmen zu tun, indem sie bei den Erben des Fürsten Trubtscha 2000 Desjatinen pachtete und diese an Unterpächter aus Tarutino vergab. So erzielte die Gemeinde einen jährlichen Reinerlös von 3000 – 4000 Rubel. W. Mutschall, der Chronist Tarutinos, berichtet ferner: „Durch diese Erfahrung ermutigt, kaufte die Gemeinde 1890 von der Gutsbesitzerin Victoria Mitschu das Landgut Dshaman – Abat bei Mathildendorf für 75 Rubel pro Desjatine. Nachdem das Landgut von 1200 Desjatinen einige Jahre zu einem mäßigen Pachtzins an Landbedürftige abgegeben worden war, siedelte die Gemeinde 1907 vierzig Familien aus Tarutino auf dem gekauften Land an: So entstand Neu-Tarutino.“ (Pastor Albert Kern, „Heimatbuch der Bessarabiendeutschen, Seite 334, Seite 3, vorletzter Absatz: Oberpastor Haase (zwei a))

Das Gründungsjahr ist in vielen Heimatkalendern unterschiedlich mit 1906 und 1907 benannt. Davor befand sich dort nur Steppenland, das Interessenten finden musste, die sich nicht scheuten , diese Steppe mit ihren Schafen oder Kälbern einen Sommer lang zu beweiden, in Erdhöhlen zu leben und diese Zeit auch für erste Haus- oder Stallbauten zu nutzen. Nach einem latenten Zuzug ist anzunehmen, dass ab 1906 alle 40 Pächter in Neu-Tarutino eintrafen, ihr gemeinsames Leben und Streben begannen und Tarutino ab 1907 einen erhöhten Pachtzins erhielt.

Von 1914-1918 verhinderte der 1. Weltkrieg die Vollendung des Bethauses, danach kam die wirtschaftliche Krise durch den Wechsel aller Handelsbeziehungen von Russland nach Rumänien, vollends durch die Wirtschaftskrise Ende der zwanziger Jahre. Endlich konnte das Bethaus dennoch am 28.10.1930 durch Oberpastor Haase eingeweiht werden.

Der Landstreit mit Tarutino

Die Bauern in Neu-Tarutino waren Pächter der Gemeinde Tarutino, als diese in der weltweiten Wirtschaftskrise der zwanziger Jahre zweimal den Pachtzins erhöhte. Das erschien unserem Großvater August Buchholz rechtlich sehr fragwürdig, weil z.B. auch Institutionen wie die orthodoxen Klöster – entsprechend dem Agrargesetz – ihr Land über 100 ha verloren. Im Auftrag der Gemeinde Neu-Tarutino führte er darum einen Prozess gegen Tarutino, den er in Bukarest gewann und der zum Ergebnis hatte, dass unsere Bauern zu Eigentümern ihres Landes erklärt wurden. Das geschah um 1930, wurde in keiner Tarutiner Zeitung publiziert und dort nie anerkannt. Pastor A. Kern schreibt am benannten Ort: „ Ein langer und kostspieliger Prozess führte nicht zum Ziel… Hätte Tarutino nach dem Vorbild anderer Dörfer der Tochtergemeinde das Land übereignet, wäre ihr viel Ärger und Geld erspart geblieben. Es ist immer besser, das Gute ganz zu tun, auch ohne dass man weiß, was daraus entsteht.“
Zum „Guten“ für die Neu-Tarutiner gehörte auch, dass sie nach 1945 in Westdeutschland – gemäß dem „Lastenausgleichsgesetz“ – nur als einstige Land- Eigentümer einen Kreditanspruch zum Hausbau und einen Rentenanspruch geltend machen konnten! – Aber das Verdienst unseres Großvaters, das allen zugute kam und das Leid, das Tarutino seiner Familie zugefügt hat, hatten bis dahin alle vergessen.

Die weitere Dorfentwicklung

Auf manchen Gründerhöfen, die man „ganze Höfe“ nannte, war es bereits zur Teilung des Hofes in „halbe Höfe“ gekommen. Etwa 1925 beschloss man darum, für jeden Gründerhof an den Vier Dorfenden einen „Viertelhof“ auszumessen und diese Bauplätze den Gründerhöfen per Los zuzueignen.7 Wenn Sie bebaut wurden, boten sie nur einen Hofraum ohne Gartenland. Etliche dieser Plätze dienten bis 1940 als Feld- oder Gemüseland.

Ebenfalls in den zwanziger Jahren wurden am Westhang des Dorftales zusätzlich zur Ostseite 40 Landstreifen für den Weinanbau und ebenso bisheriges Weideland auf dieser Seite zur Anpflanzung von privatem Akazienwald umgewidmet. Während alle Weinberge nach 1945 beseitigt wurden, wurde der Wald erhalten und erweitert.

Die auf den 40 Höfen zuerst erbauten „Buden“ dienten bald als Sommerküche auf der einen Hofseite, während gegenüber solide Wohngebäude errichtet wurden. Dahinter folgten alle Wirtschaftsgebäude, der Dreschplatz und der Gemüsegarten. Diese Hofstruktur blieb bis heute erhalten, ist jedoch kaum noch erkennbar, weil die Planwirtschaft von allem nur noch die Wohnhäuser benötigte und zuließ. Sie sind noch zu 80% erhalten, auf unserem Hof mit den Fenstern vom Neubau 1938.

Wenn die Schmelzwasser den Dorfbach füllten, riss seine Strömung alles mit sich, was nachgab. Deshalb musste die Brücke in der Dorfmitte und der „Damm“ am südlichen Dorfende dem Wasser genügend Breite anbieten, solide gebaut und erhalten werden. Das war einst nicht zu übersehen – und diente dem gesicherten Verkehr. Beiderseits des Baches gab es Brunnen für jeden Bedarf, ebenso einen auf jedem Hof und überall mit sehr gutem Wasser.

Bis 1936 gehörte Neu-Tarutino zum Kirchspiel Tarutino, danach war es ein Hauptort des neuen Kirchspiels Mathildendorf. Den sonntäglichen Gottesdienst garantierte – außer dem Pastor – vor allem der örtliche Küsterlehrer. Er hatte in Neu-Tarutino bis 1940 wöchentlich nur zwei Stunden deutschen Unterricht zu erteilen, allen sonstigen Unterricht hielt die rumänische Lehrerin in rumänischer Sprache.

Die Bauern Eduard Fredrich und Lukas Lukatschinski unterhielten einen kleinen Laden, in dem es das Nötigste zu kaufen gab. Sonstiges erwarb man in Petrowka oder Tarutino. Auf den Höfen lebte man größtenteils von eigenen Erzeugnissen und Hausmitteln. Der Weg zum Arzt führte entweder nordwärts nach Taraklia oder südwärts nach Tarutino oder Sarata.

Das Ende der bessarabiendeutschen Kollonistenzeit

Es begann mit dem Ultimatum Russlands an Rumänien, Bessarabien vom 26. –
30.6.1940 zu verlassen und der russischen Besetzung Bessarabiens ab dem
28.6.1940. Die vordem im Schwarzmeergebiet erfolgte Entrechtung, Enteignung und Verschleppung von Deutschen war nun auch in Neu-Tarutino möglich. Alle Gewalt ging jetzt von einem Kommissar aus, der unsere Bauern täglich wie ein Kolchosleiter kommandierte und manchen mit Sibirien drohte. Völlig unerwartet wurde ab September überall die Umsiedlung nach Deutschland propagiert und organisiert, so dass unser Treck am 20.10.1940 aus Neu-Tarutino abfuhr. Per Schiff auf der Donau und per Bahn erreichten wir gut 400 Neu-Tarutinoer unsere Bestimmungsorte in den österreichischen Lagern:

Bernhardsthal, OD
Burg Laa a.d. Thaya, Kreis Mistelbach
Fel(d?)sberg/Ostmark (heutiges Valtice?)
Gaubitsch, Kreis Mistelbach
Kronberg, Kreis Mistelbach
SA-Heim, Laa an der Thaya, Kreis Mistelbach
Schloß Poysbrunn, Kreis Mistelbach
Walterskirchen, Kreis Mistelbach

Nach einem Jahr erfolgte der Umzug in eines der „Ansiedlungslager“ in Lodz, von wo wir ab Februar 1942 in Westpreußen auf polnischen Bauernhöfen als deren neue Besitzer, angesiedelt wurden. Auch diese Kolonistenzeit endete bereits im Januar 1945 mit der Flucht und endgültigen Kappung unserer Beheimatung im Osten Europas.

Weitere Literatur

Eine bewährte Kontaktperson in Neu-Tarutino ist die Lehrerin i.R. Nadeschda Karamarowa (Tel.: 00380484779259). Seitdem 2005 ein Gedenkstein auf dem örtlichen Friedhof aufgestellt wurde, sind auch der Bürgermeister und die Schulleiterin kontaktbereit.

Berichte und Bücher